Posts mit dem Label Wände werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label Wände werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

Freitag, 2. März 2018

Flammende Rede fast ohne Worte


Glückliche Helden? Kronstadt, Oktober 2017
Wände sprechen mit mir. Sonderbar? Vielleicht. 
Auch Menschen sprechen mit mir, alte, jüngere, traurige, glücklichere, gerade, schrägere. Helden? Wer weiß. Selten. Ich höre zu, so oder so. Und gerne. Und sammle, für später
Und sehe.    
Friedhofswand-Fackel spricht vom tragischen Helden L.B., Kronstadt, August 2017
Sehe zum Beispiel an manchen Kronstädter Wänden ein Fahnenrot, das Römerblut und Feuer sein will. Mal ist es runenseltsam, mal winterblass; verwaschener Stofffetzen, hängengeblieben an Graffitidornen. Von einem Helden per Gesetz will diese rotschwarze Fackel erzählen. Oder von einem, der nicht gegen Wände laufen wollte. Von einem, der, statt sich ins Conducator-Land weiter zu fügen, auf traurigen Brettern einen Schneehang runter fuhr. Zwischen entsetzten Skitouristen. Ganz runter, brandverzweifelt, bis ans Ende. Flammenzeichen. Fanal, final. In brennenden Händen Schreie auf Pappe, hitzige Wörter, drei, vier. Von der Piste geschafft, schnell. Bei Bewusstsein, noch. Spital. Geheimdienst. Nach kurzen Stunden: tot. 
Vor taggenau 29 Jahren. 

Und Conducator Ceausescu, realitätsblinder Dompteur, "Titan der Titanen"? Schusswundenblutig im Staub, keine zehn Monate nach dem Flammenschrei gegen sein System.   


Teilen

Sonntag, 21. Januar 2018

Schicksals Trampelpfad


Kronstadt, Schlossberg, Juli 2017
Drei Wochen füllt dieses Jahr schon? Kaum zu glauben, und kaum ergebnisreich, wenn sie den Hals nicht voll genug kriegen mit irgendeinem Bronchialvirus. Fünf Monate dagegen... sind lang, findet im letzten Frühjahr eine Optimistin. Unendliche Stunden, hundertfünfzig Tage! Doch sieht sie bald: fünf Stadtschreiberinnenmonate sind auch kurz. Sind eben fünf. Noch weniger als die Finger einer Hand, in einer Gegend, in der Uhren Ewigkeit messen, wie man sagt, und Brunnen anders rauschen, Zeit anders rinnt. Bald nach Ankunft im Mai hatte sich eine Optimistin diese Siebenbürgische Elegie bereit gelegt wie eine melancholische Praline, bereit gelegt für den September, um sich damit zu verabschieden nachher. Selten passt eine teilverlassene Landschaft so in ein Gedicht, und selten passt ein Dichter, ein Meschendörfer, so in die Historie einer Stadt. Doch im September nachher... fehlte für Pralinen die Zeit. 
Ja, für ein vielleicht nächstes Stadtschreiberinnen-Amt sollte Zeit anders rinnen, Familienpflichten auch, und am Schreibtisch sollte ohne ältere Aufträge und Bürokratie Tabula rasa sein. 
Salopp gesagt: Das wird schon. Wenn Fortuna will. Oder: Was sein muss, wird sein? Kronstadt, Juni 2017

Selbst ohne diesen Idealrahmen war in und um Kronstadt so viel zu sehen. Zu hören. Zu lernen. Zu sammeln. Ist vollständig davon hier zu lesen, auf diesen vom Deutschen Kulturzentrum Östliches Europa bereitgestellten Internettagebuchseiten? Nein. Für manche melancholische Praline wurde die Zeit zu knapp, für manche rumänische Suppe, Țigani-pikante Soße, manchen süßsächsischen Hanklich. Aber all diese Geschichten (oder beste Zutaten und Bilder) sind gesammelt in Ordnern, Dateien, Hinterkopf-Ecken, und sollen noch bereitet und angeboten werden auf diese oder jene Weise. 
Wie es auch schon geschah. Gleich in den ersten, tatendurstig beeindruckten Wochen, oder später. In InterviewsArtikeln, Veranstaltungen. Vor Ort oder zurück in Deutschland. Bei Lesungen in der Hauptstadt und Filmpremiere in Potsdam. Vor Denkmalschutzsympathisanten und Cinephilen. Zuletzt Ende 2017 vor Rumänienkennern in Berlin Charlottenburg und vor Freunden des gesetzten bürgerlichen Engagements, tief in Brandenburg, im Friedrichschen Kloster Zinna mit kleiner Königsstatue und großem, flugfähigem (Rotarier-)Fisch.
Übertisch-Hünenfisch zwischen Berlin und Leipzig. "Alte Grafschaft" Kloster Zinna, 11 2017

Eine persönliche, in die Gesichter von Menschen und Geschichte blickende Rückschau mit dem Titel "Kronen aus Noten, Not und Holz und Licht" ist am 26.12.2017 in der Siebenbürgischen Zeitung Online erschienen, eine kürzere Fassung gestern in der Druckausgabe. 
Bild- und andere Eindrücke auch aus Kronstadt finden sich außerdem auf der detailreichen Internetseite der Optimistin a.D.. 
Und sollte mal Zeit ein wenig langsamer rinnen, sollte ein bisschen Zeit am Tagesende übrig bleiben. - (Oder gar ein Verlag oder wer einen Auftrag vergeben, durch den etwas leider nötiges Täglichbrot finanziert, und Zeit begründet gestohlen werden könnte.) - Dann, mindestens dann, erzählt die Ex-Stadtschreiberin auch im aktuellen Jahr gern mehr und anders und intensiver von einer beeindruckenden Region, einem inspirierenden Land. 
Oben ragende Natur und Frühhistorie, unten Holzkohlefeuer an Holzkohlefeuer. Salomonsfelsen Kronstadt, 6 2017

Dass Schicksals Trampelpfade hier abkürzend durch manches Dickicht führen, kann sie sich gut vorstellen. Nicht nur unter den aufwendig von Grill- und Tanz- und Folklorereiterstationen gezähmten Salomonsfelsen. Nicht nur fern am Schwarzen Meer, in Ovids Sterbestadt. Und nicht nur an Wochenenden wie gerade jetzt diesem, an denen wieder, wie seit mindestens einem Jahr, Zigtausende mit ihrem Land Rumänien ringen, und in Bukarest wie in Hermannstadt oder Kronstadt auf die Straße gehen gegen Regierung und Korruption. 

Hält er noch, der Antijustiz-Selbstbauheiligenschein vieler (PSD-)Politiker? Kronstadt 7 2017


Nun denn, allen Lesern, Leserinnen, allen tapfer in eine aufrechte Zukunft Schauenden: gute Wünsche für gesunde, gedeihliche Monate und funktionierende Pfade

Ob das hüstelnd begonnene Jahr eine Optimistin a.D. zurück nach Kronstadt führt? Fortuna wird´s wissen. 
Sorgenvoller Blick zum Schicksalstrampelpfad? Kellergesicht in Kronstadt, 9 2017

Gegen ein Wiederkommen jedenfalls hätte die Autorin nichts. Vom Siebenbürgenvirus spätestens in einem langen Sommer angesteckt, und gefühlt nun wohl für die Ewigkeit Stadtschreiberin Kronstadt/Brasov
       

Teilen

Donnerstag, 19. Oktober 2017

Potsstadt Krondam, hollywoodhell


Treppe, die den Treppenschauer zurück-ansieht, Kronstadt 10 2017
Potsstadt und Krondam maben hehr ziteinander tu mun, als einer erstmal denken mag. 


Potsdam, Kronstadt. Nicht erst Schütteln bringt viel zu Tage, hier wie dort. 

Wobei, Schütteln? Hat in Rumänien eher mit Gefahr zu tun
Ein paar Kilometer östlich von Kronstadt rumort es unter dem Karpatenknick. Erdkrusten-weit unten zum Glück, 80 Kilometer unter den Karpaten, 100 Kilometer, oder mehr. Erdbeben mit Opfern sind die Ausnahme, so. Jedenfalls meistens. Aber das ist eine andere Geschichte. 
Ausnahmsweise nicht in K. (und doch mit Gottesaugenhimmel): Alte Ringerkolonade ohne Ringer vor Neu-macht-auf-alt-Landtag, Nikolaikirche und abrissgeweihtem DDR-Fachhochschulbau. Der eigentlich auch zu Potsdam gehört
Geschichte?
Oh, ja.
Kronstadt, Potsdam haben viel erlebt. Ihre Bewohner können erzählen, ihre Plätze, ihre Fassaden,  Stadtgesichter.
Stadtgesicht spricht vielsprachig in K. Zum Beispiel deutsch. Oder ist es englisch? Dann wäre es hier das Letzte.
Von Letztem können sie erzählen und von Lasten. 
Von neuen und von Altlasten, mit Fleiß aufgearbeiteten oder solchen, die noch bleischwer auf Abholung warten.
Potsdam oder Kronstadt? Für Fremde wohl schwierig zu erraten. Bis auf verräterische, erst 28jährige Einschusslöcher. (Dezent mittig und oben rechts)
Aber auch von Eleganz wissen die Städte beide.
Bis auf seltene Ausnahmen: Stadtschreiberin-Fotos nach wie vor aus Kronstadt. Ohne Photoshop. Und, wenn nicht ausnahmsweise anders markiert, aus Stadtschreiberinnenhand.
Und beide tragen in sich ein mal mehr, mal wenig sichtbares "B".
Eines, das mancher auf den zweiten Blick erst sieht.
Vom zentralen Platz aus fern-schüchtern: Kronstadts rumänischer Name BRASOV, mittig unter der kleinen Bergspitze. 
Als ungarisches Brassó-B vor allem...
Dabei ist die ungarische Minderheit in Siebenbürgen sehr viel größer als die minimierte deutsche.
Ungarischer Stadtname "Brassó" unter der Wurzelspitze des hier zur Sicherheit doppelt gekrönten Stadtwappens. "Corona" steht für keine aktuelle hiesige Minderheit, ist der historische Gründungsname aus dem 13. Jahrhundert. 
Und noch mächtiger freilich, karpatenrandmächtig, ist das rumänische B. Das aus Brasov.


Steht man erst davor (oder nein, wenn nicht lebensmüde: dahinter), so ragt es, Hünen-Scrabble-groß.
Wagemutige Schönheit nahe der Buchstaben auf dem Berg Zinne, 9 2017
Nachts leuchten sie, die rumänischen Hollywoodlettern B - R - A - S - O - V.
Und, oh Wunder, sie führen bis ins ostdeutsche Hollywood. Wenn auch auf einem stangenschmalen Pfad.
Voilà:
Brasov-Schriftzug von hinten. Und darauf (oben mittig): Brasov/Kronstadt grüßt Potsdam! Und den SV Babelsberg 03. (So vorgefunden, versteht sich.)  
Tor! Das nächste magierhaft versteckte `B´. 
Schließlich gehört Babelsberg, die alte Film-Laterne, zur Stadt Potsdam dazu.
(Ob mit SV 03 oder ohne.)
So sehr ist es Filmstadt, das kleine Babelsberg, dass es ein Filmgymnasium hat.
Eine Rarität, die junge Filmer auch mal bis nach Kronstadt schickt.
...Die Stadt beobachten, wie sie in den Sommerferien flirrt. Und die Stadtbeobachterin beobachten auch.
Stadtschreiberin und Drehteam Maximilian, Nils, Thomas B. aus dem Filmgymnasium Potsdam, Juli 2017. Vor einem der wenigen Häuser, die den Stadtbrand 1689 überlebt hatten. Foto: Ingeborg Szöllösi 
Die so zur Stadtbeobachterinnen-Beobachter-Beobachterin wird, ob sie will oder nicht.
Egal wie sonnig der Tag: Schreibtisch-schmale Augen bekommen gratis eine Extradosis Licht.
Und wieso schleppen junge Männer Stative, Lichtspiegel und Kameras von Potsdam-Babelsberg nach Kronstadt?
Vom Wächterzitadellenberg hinab zur Graftbastei, herauf zum weißen Turm, wieso?
(Man beachte den armen am Kabel geführten letzten Mann.)
Und dann auch noch in Ketten manchmal, oder Kabelketten.
Angetrieben von gnadenlosen Mächten?
Beim Filmdreh auf dem Schlossberg. Wo kein Schloss steht, aber eine Wächterfestung. Ihre hohen Mauern waren Zeugen auch dunkler Momente der Geschichte Kronstadts. Und warten seit Jahren auf Nutzung und bessere Zeiten.
Gnadenlos, doch, schon. Könnte Geschichte nachleuchten, dann würden Straßen, Plätze, Stadtgesichter glühen. Voll von Lichtmalerei der anderen Art. Unheimlich. Totkalt, altneu, glutrot. 70, 80 Jahre alt in Potsdam, keine 30 in Kronstadt. Oder, noch grellere Spuren: 300-, 400-jährig. Blutspuren führten da durch Transilvania, ganz ohne einen untoten Vlad Dracul. Zur Strafe gepfählt wurde noch weit ins 17. Jahrhundert, Pfähl-Köpfe danach für alle sichtbar ausgestellt. An der Wächterzitadelle auf dem Schlossberg, an Stadttoren, am Markt. An zentralen Plätzen, an denen ein Filmteam gern dreht.
So ist es eben wohl. So gehören, wenn einmal Augen und Mikrofone bereit und offen sind, viele Schattierungen zu Stadtgesichtern.
Was kann helfen, das auszuhalten? Tja. Reden. Leuchten. Eine Promenadenmischung streicheln.
(In Kronstadt, immerhin, darf eine Hundeschnauze wieder familientauglich niedlich sein, so, wie in Babelsberg. Die allermeisten Straßenhunde sind unblutig aus den Straßen verschwunden. Wenigstens hier.)
Bankseitig kein Filmer, sondern ein hundebesitzender Passant. Für Minuten also, an der Graftpromenade, eine Feierabendfamilie mit Promenadenhund und Kameratier. So ungefähr spricht das grasgrüne Graffiti über dem Hundekopf. 
Und der wichtigste Grund nun für die lange Anreise der Filmer?
Er steht in Potsdam zwischen Villen und Eisenzaun. Haushoch, würdig, ziegelhell.
Und sendet jährlich einen Schreiber, eine Schreiberin nach Osteuropa aus, in eine Stadt mit Geschichte, Kultur und Gesicht und einer kleinen, deutschen Minderheit.
Vorstandsvorsitzender Smaczny des Dt. Kulturforums Östliches Europa. Ehemaliger Schuldirektor einer anderen Schule, am Säulenheiligen des deutschsprachigen Honteruslyzeums, mit Mützenhumor, 10 2017
So, wie eben dieses Jahr nach Kronstadt.
Wo es Hünen gibt, natürlich nur den Sagen nach.
Oder... Moment. Himmel, hilf...

----
Der Film aber hat es irgendwie über die Karpaten geschafft. Und hat heute Abend in Potsdam-Babelsberg Premiere.


Teilen

Mittwoch, 12. Juli 2017

Die Glücklichen und die Vergessenen


Vergesslich sind wir. Nicht nur bei allesschmelzender Hitze. Nicht nur, wenn wir alt sind oder dement, und amtlich schwächer werden dürfen. Nicht einmal nur, was die schlechten Nachrichten betrifft, die verbeulten, rostigen Nachrichten-Schnellzüge, die weiterrattern von Krawall zu Hunger, zu Feuer, zu Bombe, zu neuen Ministern, zu falschen Entschlüssen, weiter, weiter. Wir vergessen, was noch alles zu tun ist. Wir vergessen, wie oft wir uns schon gesagt haben, dass wir nicht vergessen sollten: zum Beispiel, wie schön es ist, wenn etwas funktioniert. Kopf, Beine, Krankenversicherung, Vater Staat. Immer wieder vergessen wir, dass wir nicht vergessen wollten, wie gut es uns geht. 














Da ist neulich die Frau, die diese Püppchen herstellt und verkauft. Umlagert von Sonne und Zeltschatten, von Bündeln aus Ohrringen und Ketten. "Where do you come from?", fragt sie. "Oh, Germany?" Deutschland, sagt sie, ach ja, da, wo alles seine Ordnung hat." Ein wenig müde klingt ihre Stimme, und so, als spräche sie von einer weit entfernten Welt.  
Hinter ihr die Fransen der Stadt, eine große, hügelgesäumte Weite. Burzenland. Vor ihr Bierzeltbänke. Musik. Und Mauern, majestätisch angeschrägt, hoch. Festungsmauern. Die alte Wächterzitadelle, Schlossbergfestung.
Prominent über der Stadt. Und doch in städtischen Touristenblättern verschwiegen, als wäre sie nicht existent.
Nur in älteren Schriften taucht sie auf. Bis vor ein paar Jahren beherbergten ihre Höfe noch touristen-`historisch´ ausstaffierte Restaurants. Und heute  -  bröckelnde Staffagen, für nichts und niemanden mehr. Geschlossen.
Ein wahrer Schloss-Geist, ein Geisterschloss, umwölkt von Geschichte, Belagerung, Knast; doch eigentlich vergessen, weggeschlossen hinter pseudostarken Burgtüren.


Und diese Art Geister sind nicht selten im Land.

Je genauer man hinsieht, desto häufiger findet man sie.
Wände mit Moosbärten, mit Rissen und Farbdosenlinien statt mit Familienbildern, Gardinen oder Nachttischlampen. Häuser, die leerstehen seit Jahr und Jahr und Tag. Stuckverzierte genau wie nüchterne, Fabrikhallen genau wie Häuser von Politikern, Dichtern, Geschichtsbuchmenschen.

Viele dieser Gebäude sind MONUMENT ISTORIC, beschildert, gelistet auf für intensiven Denkmal-Schutz zu langen Listen.
Die Zeit schreitet fort, rast, radelt, holpert. Ist vielleicht hier in Siebenbürgen eine andere Zeit. 
"Zögernd nur schlagen die Uhren", heißt es beim Kronstädter Dichter Adolf Meschendörfer, "zögernd bröckelt der Stein." 
Und doch legt die Zeit nie ihre gefährlichen Waffen ab, ihre Zähne. Sie nagt an Fenstern, Wänden, Dächern. (Zusammen mit ihren Gehilfen, Wind, Wetter oder Schrottdieben zum Beispiel.)  - Alles, während die Häuser zu warten haben. Warten, dass Richter und Anwälte arbeiten, dass schwierige Kämpfe zu Ende gefochten werden, zwischen Gesetz und Gesetz und so-so. Zum Beispiel: Ein Gesetz erlaubt Mietern bald nach der Wende, ihre Wohnungen preiswert vom Staat zu kaufen. Ein anderes gibt den vorkommunistischen Besitzern Rückgaberecht. Und nun? Nichts passt zusammen, man prozessiert, streitet, wartet. Die Doppelbesitzhäuser sind derweil wie auf dem Abstellgleis geparkt. Manche bewohnt, viele leer, und keiner, auch nicht der Staat, hat Lust, in so unklarer Lage mehr als hie und da einen winzigen Pinsel in die Hand zu nehmen.
Für tausende Häuser ein Problem, in Siebenbürgen und im ganzen Land. Am dichtesten gedrängt naturgemäß in der millionenstarken Hauptstadt. "Sad, empty buildings", sagt dort Stadtführerin Alina, leise.
Lieber zeigt sie "lucky houses": die, die eben genau das sein dürfen: Häuser. Keine vergessenen, einsamen Gespenster, keine windlöchrigen Ziegelhaufen. Häuser mit dichten Dächern und Wänden, für Menschen, die nicht unbehaust sind.
Ja, erinnern wir uns, wie glücklich so ein Haus.



Teilen

Donnerstag, 1. Juni 2017

Manche ächzen, irren, schreien


Sicher, ein wenig suchen muss man. Nicht jede Straße trägt ein Haus mit brutalen Narben.
Und lange nicht jede balanciert überhaupt historische Häuser auf trittfreundlich gestauchtem Buckelpflaster. Im Zentrum, ja, wo eine Stadtschreiberin untergebracht ist, in der Nähe der grünen Berge, der Stadtmauern und -türme, ist die Bebauung pittoresk. Die größeren Teile der Stadt aber stehen nördlicher, westlicher, östlicher, ebener; Betonbausteine, überall da, wo sie nicht gestoppt werden von Karpatenwächterbergen. 
Einwohner nicht einer Klein-, sondern einer Großstadt schließlich müssen irgendwo wohnen: Trotz starken Rückgangs noch mehr als eine Viertelmillion.
Und zwischen ihnen Schatten, Schrammen, Risse.
Auch etwa ein (noch lange nicht Stadtschreiberinnen-)Alltag im Berlin der 80er, der 90er Jahre war von vernarbten Wänden gesäumt. Grau in grau, mietskasernenhoch. Einschusslöcher darunter, dunkel, stumpf von vielen Jahren. Zahlreich genug für beklommene Kindheitsmomente und für abgeklärtere auch. Real und doch Kulisse, Geschichtsbuch aus Stein und blätterndem Putz. Bilder einer untergegangenen, längst besiegt geglaubten Weltkriegswelt. Gefühlt viel weiter als ein halbes Jahrhundert entfernt.
Inzwischen ist fast jede solche Narbe in Berlin wegoperiert.
Und in der Stadt an den Karpaten? Die wenigen brutal vernarbten Wände auch hier Geschichtsbuchseiten? Doch, ja. Und wer liest sie? Diese blutige Geschichte ist erst 27 Jahre alt. (Das passende Alter, fanden manche Dekadenten manchmal irgendwo, um unsterblich rockstarjung aus dem Leben zu gehen.)
Hier, in Rumänien, auch in Kronstadt, verloren in Dezembertagen 1989 Etliche jeden Alters ihr Leben: In kaum wirklich geklärten Schießereien zwischen Aufständischen, Militär und Securitate, zwischen Gardisten und Terroristen, auch noch nach Ceausescus Flucht und Tod.

Bereits zwei Jahre vorher hatten Arbeiter gewagt zu revoltieren. Was für eine Ausnahme im durch tiefe Not unter dem wahnhaften Conducator eingeschüchterten Rumänien. "Ob wir verhungern, erfrieren oder erschossen werden", soll am Tag der 87´er Kronstädter Revolte auf einer Mauer gestanden haben, "das ist uns egal".  

Wenn Wände flüstern, ächzen, schreien könnten, sicher, viele würden es tun. Hier oder ganz woanders in der Welt.
Lachen auch. Oder etwas Ähnliches. Hysterisch? Manche nicht mal mehr. Fatalistisch. Müde. Irr. Wie die Wände in Kabul, gestern, die noch stehen, neben Blut und Staub. Kabul? Den Bergen nah wie Brasov/Kronstadt. Einwohnerzahl wie Berlin. Wachsend, wohl.
Und nun der 4., 5., 6. Anschlag dieses Jahr? Sind es 90 Tote diesmal, 400 Verletzte, oder mehr. Es verschwimmt; der Nachrichtenzug muss, Stunden später schon, langsam weiter. Zurück bleiben die Wände. Die, die noch kein Staub sind, keine Stahlbetongerippe. Schusslöcher? Fast nur ein Kitzeln. Terroristen? Sprengstoffkrater? Ein alter Hut; haha, ein Schnee von morgen.
Teilen